Darf es ein bisschen mehr Demokratie sein?

„Also, wie machen wir das denn jetzt? Wie entscheiden wir über die Gesprächsregeln während unserer Gruppentreffen?“
Die 11 Teilnehmenden der Gruppe „Überlebensstrategien“ sitzen etwas ratlos beisammen. So viele Bedürfnisse sollen unter einen Hut gebracht werden!
„Entscheide du doch, Melanie! Du hast die Gruppe gegründet.“ Das wäre die einfachste Lösung, aber auch die beste?
Immer wieder hören wir von Selbsthilfegruppen, dass sie keine*n Nachfolger*in für die Gruppenleitung finden. Niemand will so viel Zeit investieren, niemand will so viel Verantwortung übernehmen. Das Modell „Eine*r entscheidet für alle“ scheint keine nachhaltige Variante zu sein. Es funktioniert nur, wenn es eine Person gibt, die gerne viel (oder auch zu viel) Last auf ihren Schultern trägt und die viel Zeit und Energie mitbringt. Und wenn diese Person geht und es mangels Zeit oder Energie keine Nachfolge gibt, bricht das System zusammen.

Vielleicht sollten wir mal ein bisschen darüber nachdenken, was die Vorteile eines basisdemokratischen Modells sein könnten und wie es sich in einer Selbsthilfegruppe verankern lässt.

Die Vorteile sind schnell aufgezählt
• Viele Personen in der Gruppe tragen gemeinsam die Verantwortung, das heißt, jede Person trägt so viel Verantwortung, wie sie tragen kann. Niemand wird überlastet sein.
• Alle sind am Gruppengeschehen beteiligt, niemand wird ausgeschlossen.
• Alle dürfen mitbestimmen, jedes Bedürfnis bekommt Raum.
• Konflikte werden schneller erkannt und aus der Mücke muss kein Elefant werden.
• Wenn eine Person die Gruppe verlässt, muss nur deren Aufgabe an jemand anderes übertragen werden, alle anderen Aufgaben laufen wie gewohnt weiter.
• Alle können lernen, ein bisschen Verantwortung zu übernehmen und können erleben, dass sie dazu fähig sind.

Und wie können wir es umsetzen?
• Gerne können Sie dazu eine Mitarbeiterin von Kiss einladen, die Sie in dem Prozess begleitet.
• Bei einem vorab festgelegten Gruppentreffen können die unterschiedlichen Verantwortungsbereiche und die anstehenden Aufgaben verteilt werden – jede*r übernimmt ein bisschen.
• Gesprächsgruppen, die sich wöchentlich oder 14-tägig treffen, können einmal im Quartal ein Gruppentreffen festlegen, in dem Organisatorisches, Regeln und anstehende Projekte besprochen und geklärt werden. Alle anderen Gruppen können einmal im Jahr so einen Termin festlegen.
• Falls noch nicht geschehen, können Sie Gruppen- und Gesprächsregeln bei einem dieser Treffen festlegen und diese in der Folge immer wieder überprüfen und nachbessern. Empfehlungen für Gruppen- und Gesprächsregeln bekommen Sie bei Bedarf von Kiss. Sie können dann gemeinsam besprechen, was für Ihre Gruppe Gültigkeit hat.
• Sollte es nach längeren Diskussionen zu keiner Einigung kommen, dann entscheidet die Mehrheit.
Sie haben immer die Möglichkeit, eine beschlossene Regel für ein paar Monate auszuprobieren, danach kann sie verändert oder beibehalten werden.

In der Folge wird es keine große Gruppenkrise mehr geben, wenn eine Person, die alles gemanagt hat, die Gruppe verlässt. Es wird kaum noch zu Überlastungen einzelner Personen kommen, weil die Verantwortung gemeinsam getragen wird.
Vielleicht wird es die eine oder andere längere Diskussion geben, bis Regeln und Zuständigkeiten geklärt sind, aber unter dem Strich wird die Gruppe vermutlich doch Zeit einsparen, da mehr Klarheit herrscht und das Konfliktpotential reduziert wird.

Probieren Sie es aus – es lohnt sich.
Es lohnt sich, Demokratie zu wagen: in der Selbsthilfegruppe, in der Familie, im Verein und in allen anderen Bereichen unserer Gesellschaft!!