Wie greifen wir in der Selbsthilfegruppe das Thema „Maßnahmen im Umgang mit einer Pandemie“ auf?
Wir kennen sie alle, diese Sätze: „Nein, die Maske mag ich nicht tragen. Damit verpassen die uns doch einen Maulkorb!“ oder „So schlimm ist Corona ja nun auch wieder nicht, das ist eine ganz normale Grippe. Die machen mit ihren Zahlen doch nur Panik – an Krebs sterben jeden Monat weit mehr Menschen!“ Und auf der anderen Seite: „Die Zahl der Infizierten steigt, wir müssen uns noch besser schützen. Wir müssen uns unbedingt an all die Vorgaben von der Regierung halten – alles andere ist verantwortungslos!“ oder sogar „Ein zweiter kompletter Lockdown muss her – die Leute halten sich doch nicht an die Vorgaben!“
Typische Sätze, die wir tagtäglich in unserem Umfeld, in den sozialen Medien, in Hintergrundberichten oder eben auch in der Selbsthilfegruppe hören.
Wie sollen wir damit umgehen? Was können wir tun, um eine weitere Polarisierung zu verhindern? Wie finden wir wieder zusammen?
Wir sehen in den Gesprächsformen der Selbsthilfegruppen eine Stärke, die genau bei diesen Fragen ansetzt und eine Möglichkeit bietet, im Gespräch wieder zusammen zu finden.
Schon bei der Blitzlichtrunde, in der jede Person benennen kann, was sie gerade beschäftigt, können die momentanen Ängste, Befürchtungen, Schwierigkeiten oder auch Zukunftsvisionen eingebracht werden. Die Blitzlichtrunde birgt die Chance, die eigenen Emotionen zum Ausdruck zu bringen. Keine Pauschalaussagen wie „unsere Grundrechte sind in Gefahr“, sondern ganz konkret „ich habe die Befürchtung, dass die Einschränkung des Grundrechts auf Bewegungsfreiheit der erste Schritt zu weiteren Einschränkungen unserer Grundrechte sein könnte, es könnte die Demontage unserer Demokratie sein! Das macht mir Angst. Dazu wünsche ich mir von euch Rückmeldungen – wie erlebt ihr es?“ Nicht die pauschale Feststellung „niemand hält sich an die Vorgaben“ sondern detailliertes Erleben: „In der U-Bahn ist es so schwierig, Abstand zu halten, weil manche einfach nicht achtsam sind. Ich habe da echt Angst mich anzustecken. Wie macht ihr das in eurem Alltag?“ Oder aber auch „die wirtschaftlichen Folgen der Einschränkungen haben mein Leben schon erreicht, meine finanziellen Reserven sind erschöpft – ich stehe vor dem wirtschaftlichen Aus.“
Vielleicht kann sich die Gruppe darauf einigen, dem Thema „Pandemie“ in regelmäßigen Abständen die Priorität zu geben, da es alle Teilnehmende derzeit über das eigentliche Thema der Gruppe hinaus in allen Bereichen beschäftigt.
In der Gesprächsrunde, also nach dem Blitzlicht, können die Teilnehmenden – so wie immer – ihre Sicht der Dinge aufzeigen, ihr Erleben im Alltag. Sie können ihre Ängste schildern, die auf beiden Seiten der „Corona-Kontrahenten“ mitspielen und hinter denen immer auch individuelle Geschichten stehen. Warum haben die einen Ängste vor der Infektion, die anderen aber nicht? Warum sehen die einen in den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung das Ende der Demokratie, warum können die anderen es ganz gut aushalten und sich ihre Zuversicht bewahren, dass die Zuständigen in der Politik unsere Demokratie bewahren?
Wenn wir darüber in ein wertschätzendes Gespräch kommen, so wie es in vielen Selbsthilfegruppen bei allen Themen praktiziert wird, dann können wir vielleicht die Gräben überwinden. Dann polarisieren wir nicht, so wie es die Pauschalaussagen gerne tun. Dann können wir in der Gruppe vielleicht wieder gemeinsame Nenner finden und die Ohnmacht, die viele gerade gefangen hält, überwinden und uns gemeinsam individuelle Handlungsstrategien für den Alltag überlegen – so wie immer beim Austausch in der Selbsthilfegruppe!
Diese Form des wertschätzenden Gesprächs miteinander kann eine Signalwirkung für die gesamte Gesellschaft haben. Das Signal: es geht – wir können miteinander reden und die Polarisierung überwinden. Nur so lassen sich für alle begehbare Wege aus den Wirren und Sorgen in dieser Krise finden.