Selbsthilfe in Gang setzen – mit, von und für Menschen mit Migrationshintergrund

Selbsthilfegruppen haben sich längst als eine Form der Unterstützung im Gesundheits- und Sozialwesen etabliert. Sie unterscheiden sich von den professionellen Angeboten, in dem sie den Menschen, die ein gemeinsames Thema bzw. eine schwierige Situation / ein gemeinsames Interesse verbindet, einen Austausch auf Augenhöhe verschaffen. Sie ermöglichen den Betroffenen Rückhalt und Entlastung in besonderen Lebensphasen und helfen ihnen nicht nur die Einsamkeit und Isolation zu überwinden, sondern auch neue Ideen der Bewältigung auszuprobieren.

Erfahrungsgemäß gibt es – trotz all der Vorteile – eine sehr geringe Beteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund an Selbsthilfe. Die Gründe dafür sind oft genauso heterogen wie diese Gruppen – von Sprachbarrieren und unterschiedlichen Vorstellungen im Umgang mit Krankheit und Gesundheit oder sozialen Problemen bis zu Mangel an Selbstvertrauen.
Mit dieser Kenntnis haben wir uns vorgenommen, Selbsthilfe Menschen mit Migrationshintergrund näherzubringen. Aus unserer Sicht braucht diese Zielgruppe eine gezielte Zuwendung, denn sie hat oft zusätzlich zu den üblichen (gesundheitlichen/sozialen) Themen auch die Vulnerabilität aufgrund ihres Migrationshintergrundes, sprich oft noch begrenzte Zugänge zu Informationen und Ressourcen.

Als erster Schritt in diese Richtung sind im Frühjahr dieses Jahres interessierte Menschen mit Migrationshintergrund als In-Gang-SetzerInnen (IGS) geschult worden. Die migrantischen In-Gang-SetzerInnen (M-IGS) möchten die Selbsthilfegedanken in ihren eigenen Kulturkreisen verbreiten und den an Selbsthilfe interessierten Menschen Zugang zur Selbsthilfe erleichtern.
Zwölf Ehrenamtlichen haben im Mai 2017 die fachlich ausführliche IGS Schulung erfolgreich absolviert. Die Schulung fand auf Deutsch statt, aber es waren insgesamt elf Muttersprachen vertreten: Türkisch, Persisch, Dari, Englisch, Französisch, Rumänisch, Italienisch, Kurdisch, Arabisch, Deutsch, Portugiesisch.
Wie die schon geschulten IGS, die seit ca. drei Jahren im Einsatz sind, stehen M-IGS als engagierte und kompetente SelbsthilfeunterstützerInnen den Kontaktstellen zur Seite. Außer der klassisch begleitenden Rolle als In-Gang-SetzerInnen in der Anfangs-/Stabilisierungsphase der Selbsthilfegruppen, werden die M-IGS in ihren herausragenden Rollen als MultiplikatorInnen den Selbsthilfegedanken in ihren eigenen Kulturkreisen verbreiten und die bunte Selbsthilfelandschaft bereichern.

In den weiteren Nach-/Austauschtreffen werden die M-IGS die einzelnen Ideen konkretisieren und die weiteren Schritte zur Erfüllung ihrer Ziele besprechen bzw. festlegen. Einige konkrete Vorhaben der M-IGS sind: „Hospitation bei einer bestehenden Depression Selbsthilfegruppe“, um nähere Einblicke in Selbsthilfegruppen zu gewinnen, „Initiierung einer Sportgruppe für arabisch sprechende Flüchtlingsfrauen“, Gründung einer „Frauenselbsthilfegruppe für pflegende Angehörigen“ mit türkischem Hintergrund, Initiierung einer „türkisch sprachigen Depressionsgruppe für Studierende in Nürnberg-Erlangen“.

Die bisherige Arbeit mit den M-IGS hat uns gezeigt, dass „aller Anfang schwer ist…“ aber auch „Hast du recht ernstlich was begonnen, so ist es mehr als halb gewonnen!“

Selten? Ist gar nicht so selten!

Mona wachte eines Morgens auf, konnte sich nicht mehr aufsetzen und ihr linker Arm ließ sich nicht mehr bewegen. Der Hausarzt meinte, das sei auf einen Bandscheibenvorfall in der Halswirbelsäule zurückzuführen. Sie bekam eine Heilmittelverordnung mit auf den Weg. Allerdings kam es ihr auch merkwürdig vor: Halswirbelsäule? Die Schmerzen waren doch am Brustwirbel. Die Physiotherapie verschlimmerte die Schmerzen. Da begann die Sucherei nach einem Arzt, der ihr Glauben schenkte und eine sinnvolle Diagnostik einleitete. Der Orthopäde versuchte die Wirbel einzurenken und startete ein Bewegungsprogramm. Mona fühlte sich immer schwächer. In der Arbeit wurde sie aufgrund der vielen Fehltage und der Überempfindlichkeit gegenüber Lautstärke und Kälte bald zur Außenseiterin. Sie fand wenig Verständnis für ihre Situation. Sie verstand ja selbst die Welt nicht mehr! Nach mehreren weiteren erfolglosen Versuchen fand sie einen Orthopäden, der ihr endlich zuhörte. Er verwies sie an den Neurologen und dieser wiederum an einen Radiologen. Sie bekam die Diagnose Syringomyelie.
Dies ist für viele Menschen, die die Symptome einer seltenen Erkrankung aufweisen, der typische Verlauf bis zur klärenden Diagnostik.

Was ist eine seltene Erkrankung?

Eine Erkrankung gilt als selten, wenn nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen das spezifische Krankheitsbild aufweisen. In Deutschland sind dies 4 Millionen Menschen. Rund 30.000 Krankheiten sind weltweit bekannt, davon zählen mehr als 6.000 zu den Seltenen Erkrankungen, auch „Orphan Diseases“ genannt.
Der Weg zu einer Diagnose ist oftmals weit und wirksame Therapien sind rar. Nicht selten werden Erkrankte bundesweit von einer Klinik zur nächsten, von einem Arzt zu einem anderen geschickt, da das Krankheitsbild unbekannt ist und es nur ganz wenige spezialisierte Zentren gibt, die eine umfassende Diagnostik machen oder eine weiterführende Beratung anbieten können.
Menschen mit seltenen Erkrankungen haben oft mit vielen Einschränkungen und Belastungen zu kämpfen, zu denen die behandelnden Ärzte keinen Rat wissen. Viele Betroffene unterstützen sich deshalb gegenseitig in Selbsthilfegruppen und -organisationen. Um gemeinsame Anliegen zu artikulieren und den Erfahrungsaustausch untereinander zu forcieren, engagiert sich ein großer Teil dieser Organisationen in der ACHSE e.V., ein bundesweiter Zusammenschluss der Selbsthilfeorganisationen zu seltenen Erkrankungen.

In Mittelfranken wird am 2. März 2018 um 16 Uhr unter dem Motto „Raise your hands“ eine Aktion vor der Lorenzkirche in Nürnberg stattfinden, zu der wir Sie herzlich einladen!
Betroffene, Angehörige und Interessierte aus Selbsthilfegruppen zu seltenen Erkrankungen werden mit Schildern, Transparenten und bunten Händen darauf aufmerksam machen, dass bundesweit dringend spezialisierte Zentren aufgebaut werden müssen, um die Diagnostik für Menschen mit seltenen Erkrankungen zu erleichtern. Und dass es noch dringenden Forschungsbedarf gibt, um diese Menschen auch erfolgversprechend behandeln zu können.

Junge Selbsthilfe – neue Zugangswege finden und gestalten

…lautet der Arbeitstitel des Workshops „Junge Selbsthilfe“ beim 11. bayerischen Selbsthilfekongress in Augsburg, den Kiss angeboten hat.  Gut 300 Teilnehmende zählt der gesamte Selbsthilfekongress dieses Jahr, mehr als zwei Drittel davon sind Selbsthilfeaktive, die aus ganz Bayern angereist sind.  Auch das Interesse am Workshop Junge Selbsthilfe ist groß und so diskutieren 31 Selbsthilfeaktive und MitarbeiterInnen aus Selbsthilfekontaktstellen darüber, was Selbsthilfe überhaupt ist und ob dieses Verständnis ausreicht, um junge Erwachsene für das Thema Selbsthilfe zu begeistern.

Schnell wird klar, dass es eine Erweiterung des Begriffs „Selbsthilfe“ braucht und zwar in zwei Dimensionen:

  1. Die Form: Selbsthilfe heißt nicht nur Stuhlkreis! Auch gemeinsame Aktivitäten gehören dazu.
  2. Der Inhalt: Selbsthilfe ist nicht nur krankheits- und problembezogen! Es gibt so viele Themen, die in Selbsthilfegruppen bearbeitet werden können.

Als „Praxisbeispiel“ haben wir Unterstützung von zwei Selbsthilfeaktiven aus dem Verein Queerbeet Augsburg e. V., die uns genau das bestätigen. So erzählen die beiden, dass sich in ihrer Gruppe schwule, lesbische, bisexuelle, trans* und queere Menschen treffen, austauschen, Themen erarbeiten oder zusammen unterwegs und aktiv sind. Die Arbeit der jungen Gruppe beeindruckt die Workshopteilnehmenden und so werden die beiden regelrecht mit Fragen gelöchert, die sie geduldig und mit viel Humor beantworten.

In den anschließenden Kleingruppen wird angeregt zu den Fragen „Was wollen junge Menschen in der Selbsthilfe? Was gibt es schon, was hat sich bewährt? (Gruppenthemen, Arbeitsform), Was fehlt im Bereich Junge Selbsthilfe? und „Bringt es etwas, wenn sich junge Leute unter sich austauschen (oder fehlt da die Erfahrung)? Gibt es vielleicht Themen, die erst die jetzige (junge) Generation betreffen? Was können „alte“ Selbsthilfeaktive beitragen?“ diskutiert und die Ergebnisse dann im Plenum gesammelt.

Fazit: Wir sind uns einig, dass es das Konzept Junge Selbsthilfe braucht! Der Austausch unter Gleichaltrigen und damit das Teilen von Erfahrungen auf Augenhöhe ohne „Belehrung durch Ältere“ sind genauso wichtig wie anzuerkennen, dass junge Menschen oft andere, unter Umständen neue Themen haben oder auch Krankheiten anders erleben und verarbeiten. Um junge Menschen für die Selbsthilfe zu erreichen, braucht es aktive, aufsuchende Angebote, die ggf. zunächst anonym genutzt werden können sowie eine Vielzahl von Kanälen z. B. Social Media. Auf der anderen Seite brauchen bestehende junge Selbsthilfegruppen Unterstützung durch Fortbildungen und finanzielle Mittel und vor allem die Akzeptanz, ihre Gruppe so zu gestalten, wie es für sie am besten passt – auch wenn die Selbsthilfegruppe dann vielleicht nicht mehr „Selbsthilfegruppe“ heißt.

Seltene Erkrankungen – Betroffene suche Betroffene

Die nationale Koordinierungsstelle für Selbsthilfegruppen NAKOS hat eine Themenliste für Betroffene von Seltenen Erkrankungen veröffentlicht, die Betroffenen helfen soll, bundesweit andere Betroffene zu finden und mit Ihnen in Kontakt zu treten. Die Liste finden Sie hier:

https://www.nakos.de/data/betroffene-suchen-betroffene-gemeinsame-themenliste.pdf

HIPP HIPP HURRA, DAS MAGAZIN IST DA!!

Die zwölfte Ausgabe des kiss.magazins ist diesen Monat aus dem Druck gekommen und  bei uns erhältlich. Voll mit Beiträgen zum Thema Junge Selbsthilfe, manchmal nachdenklich, manchmal humorvoll aber immer ehrlich und von Herzen!

 

Popcorn, Eiskonfekt und Selbsthilfe

Nach fast 1,5 Jahren Projektentwicklung war es endlich soweit: am 1. Juni 2017 feierten wir die Premiere unseres 30-sekündigen Imageclips im großen Kinosaal vom Cinécitta Nürnberg mit 150 Selbsthilfe-Interessierten. Über Monate hinweg hat Kiss Mittelfranken gemeinsam mit jungen Menschen, die in verschiedensten Selbsthilfegruppen aktiv sind, Ideen gesammelt, Konzepte erstellt und gedreht.

Gabriele Lagler und Marion Krieg vom Kiss-Team begrüßten die Gäste: darunter auch Bezirkstagspräsident Richard Bartsch, die Nürnberger Stadträtin Yasemin Yilmaz, Vertreter von Krankenkassen, Mitglieder aus Selbsthilfegruppen, NetzwerkpartnerInnen, Familie und Freunde. Sie alle sahen zum ersten Mal den einzigartigen Werbespot auf großer Leinwand. Nach einem MakingOf-Zusammenschnitt erlebten die Gäste emotionale Statements von den Mitwirkenden. Die jungen Menschen berichteten mit persönlichen Worten über ihre Motivation, bei diesem Herzblut-Projekt mitzuwirken. Die AkteurInnen präsentieren in diesem Spot ein modernes Bild der Selbsthilfe – sie zeigen Gesicht stellvertretend für die Junge Selbsthilfe in Mittelfranken. Durch die Ausstrahlung des Spots im Cinécitta sollen gezielt junge Menschen erreicht und angesprochen werden, damit diese die unterstützende Qualität der Gemeinschaft in der Selbsthilfe für sich entdecken und bei Bedarf nutzen können.

Der Spot wurde in Zusammenarbeit mit der Fürther Agentur RegionFive Media GmbH gedreht und ist seit Juni 2017 ein Jahr lang im Vorschauprogramm des Cinécittas Nürnberg zu sehen. Dieses Projekt ist ein Teil einer Imagekampagne, die die zeitlose Modernität und Aktualität von Selbsthilfe jungen Menschen nahe bringen will. Unser Ziel ist es, den Begriff Selbsthilfe zu „entstauben“ und die Modernität, Leichtigkeit sowie Einfachheit von Selbsthilfe trotz oftmals schwierigen Themen aufzuzeigen.

Ehrenamtlich unterwegs…

sind seit nunmehr zweieinhalb Jahren acht Frauen und Männer in Mittelfranken, die den Start einer Selbsthilfegruppe erleichtern. Behutsam unterstützen sie den Ablauf der Gruppentreffen in der Startphase ohne Bevormundung, bis die Gruppe stabil zueinander gefunden hat und alleine „laufen“ kann.
Dabei behalten sie als ModeratorInnen den Überblick über die Struktur der Gruppentreffen ohne in die inhaltliche Arbeit der Gruppen einzutauchen. Die Einsätze in den Gruppen werden sorgfältig und individuell abgestimmt.
In ihrem Engagement sind sie ehrenamtliche MitarbeiterInnen unserer fünf Kiss Kontaktstellen. Eine mehrtägige, fachliche Schulung zu Beginn, regelmäßige Austauschtreffen miteinander und ein enger Kontakt zu Kiss vor Ort gewährleisten eine qualifizierte Zusammenarbeit.
Die erste Zeit ihres Engagements war noch von Unsicherheiten geprägt und erst allmählich reifte die Erkenntnis, dass es keine Pauschallösungen gibt und solche auch nicht gebraucht werden. Die Ermutigung: „Wenn Du unsicher wirst, halt’ Dich zurück und schau’ eine Weile ruhig zu.“ kann allen Beteiligten zu der Erfahrung verhelfen, dass die Gruppe ihren eigenen Weg findet. Genau das bestätigen viele Statements unserer mittlerweile erfahreneren „In-Gang-SetzerInnen“ (IGS): „Ich habe mit der Zeit auch von den Gruppenmitgliedern gelernt, dass es ein breites Spektrum an Problemlösungen gibt.“ „Ich habe gemerkt, dass Gelassenheit oft hilft.“ „Es macht mir Freude, zu erleben, wie Menschen zueinander finden und sich etwas geben können.“ Heute sind sie in unserer Selbsthilfe- Unterstützungsarbeit nicht mehr weg zu denken.
Ihr Einsatz eröffnet darüber hinaus neue Möglichkeiten der Gruppengründung, wenn keinE InitiatorIn vorhanden ist, aber der Bedarf nach einer neuen Gruppe offensichtlich ist.
Der tendenziell reaktive Ansatz, nicht nur der Kontaktstellen, kommt angesichts des Wandels der Selbsthilfe an seine Grenzen; es geht nun – stärker als bisher – darum, Selbsthilfe auf den Weg zu bringen und „Anstöße“ zur Selbsthilfe zu geben.
Vor kurzem ist auch die Schulung der Ehrenamtlichen mit Migrationshintergrund beendet und somit steht nun die Aktivierung zur Selbsthilfe durch Migrantische In-Gang-SetzerInnen (MIGS) in den Startlöchern.
Die MIGS stellen sich der Herausforderung, gute Rahmenbedingungen und einen leichteren Zugang zur Selbsthilfe für Menschen mit Migrationshintergrund zu schaffen.

• Kiss Projekt- Ansprechpartnerin für IGS: Brigitte Bakalov
• Kiss Projekt- Ansprechpartnerin für MIGS: Sujata Sharma und Darja Schneider

Für die Schulungen der In-Gang-SetzerInnen ist Projektträger der Paritätische Wohlfahrtsverband NRW. Finanziert von mehreren Betriebskrankenkassen und ihrem BKK Dachverband.

Kiss im Radio!

Am 1. Juli findet vor der Lorenzkirche wieder der Gesundheitsmarkt statt. Radio Z hat ein Interview mit Elisabeth Benzing geführt, indem es um den Gesundheitsmarkt geht und darum, wieso er nächstes Jahr nicht in gewohnter Form stattfindet.

Einfach mal reinhören, ab ca. Minute 6:30: Radio Z Beitrag MP3

Auch die Stadt Nürnberg weist auf den Gesundheitsmarkt. Lesen Sie dazu diese Pressemitteilung, wenn Sie mögen!

Kiss Nürnberg•Fürth•Erlangen, 20.06.2017

Voller Stolz präsentieren wir: Kiss Kinospot

Gestern war es endlich soweit: Unser Kinospot hat Premiere gefeiert! Ab sofort sehen Sie unseren Imageclip zur Jungen Selbsthilfe im Vorschauprogramm bei Kinofilmen im Cinecitta Nürnberg!

Und hier gibt’s den Spot sofort zum Anschauen und Verbreiten:

Kiss Kinospot

 

Kiss Mittelfranken, 02.06.2017